Briefe aus Brooklyn 3

Nachdem der Blick erst einmal dafür geschärft ist, begegnet mir Literatur auch im Alltag an allen möglichen Stellen: So sehe ich, dass die Schokolade in ein Liebesgedicht eingewickelt wurde und dass dem hier sehr beliebten Grüntee japanischer Art (schmeckt ein wenig modrig) ein Haiku auf der Plastikflasche beigegeben wurde. Haikus sind groß im Kurs. So werden mir in einem Park von einem hochgewachsenen älteren Schwarzen selbst geschriebene Haikus exzellent vorgetragen. Natürlich erwerbe ich die Schriftform und wir verabschieden uns beide zufrieden und würdevoll voneinander.

Reading is my Religion

Zettel-Gedichte, im Park erworben (Foto: Richard Zinken)

„Lesen ist meine Religion“, steht auf einem Sticker zu lesen, den man auf dem Brooklyn Book Festival erwerben konnte – der Tipp zu dieser Veranstaltung kam übrigens aus Deutschland, von BücherFrau Inka Bankwitz, und die wollte ich natürlich nicht enttäuschen, also war der Termin gesetzt. Weil hier immer viel los ist, hatte ich keine Zeit, vorher zu recherchieren, und kam zusammen mit meinem Mann ziemlich unvorbereitet dorthin. Umso beeindruckter war ich, wie viele Hundert Stände von tollen Indie-Verlagen aus Kanada, Amerika und wer weiß woher noch mit von der Partie waren. Tja, und dann bin ich da mal eben abgetaucht und kam am Ende mit einer vollen Büchertasche wieder zum Vorschein.

Netterweise hatte der kanadische Verlag Anansi Press 50-jähriges Jubiläum und ich bekam nicht nur eine für mich höchst passende 50er-Tasche, sondern durfte mir auch noch ein Buch gratis mitnehmen: Meine Wahl fiel auf „Up in the Tree“ von Margaret Atwood. Ein komplett von ihr geschriebenes, illustriertes und von Hand gesetztes Kinderbuch, weil es 1978 in Kanada als verlegerisch zu riskant galt, Kinderbücher zu publizieren, und Verlage kein Geld dafür in die Hand nahmen.

Impressionen vom Brooklyn Book Festival (Fotos: R. Zinken und S. Hanel)

Spaziergänge mit Bucheinkehr

Mittlerweile ist es auch hier kalt und die Zeit der wunderbaren Events unter freiem Himmel vorbei, aber ich fand doch auch noch Buchläden in halbwegs fußläufiger Nähe – zunächst eine Filiale von Barnes & Nobles, die mir sehr geschäftstüchtig eine grüne „10 % auf alles“-Karte verkaufte. Vor allem aber schafft es diese Filiale, mir das Gefühl zu vermitteln, eine Oase betreten zu haben. „Trink erst einmal was, Honey, und dann schau Dich in unseren heiligen Hallen nach allem um, was das Herz begehrt“, flüstert mir die imaginäre Werbestimme ein – und sie hat ja recht. Ich kam aber gar nie bei den Getränken an, weil mich gleich die Themen-Büchertische in den Bann zogen.

Nach circa drei Monaten hier lief ich auf dem üblichen Hundespaziergang mal durch Zufall um eine andere Ecke und siehe da: noch ein Buchladen. Allerdings brauchte ich, selbst als ich davor stand, noch etwas, um zu begreifen, dass es einer ist, weil mich der Name „Powerhouse“ irgendwie in die Irre führte, außerdem hatte das Lädchen (noch) geschlossen. Und ich hätte es wahrscheinlich nie entdeckt, von meiner üblichen Kreuzung aus, weil es so unauffällig in die Fassaden der Nachbarhäuser eingepasst liegt. Zu Hause stieß ich bei der Recherche darauf, dass die Inhaberin gerade den Frankfurter Buchmesse U.S. Booksellers Prize erhalten hat und eine ausgewanderte Deutsche ist – und der Laden in unserem Viertel nur eine kleine Filiale. Ich kam natürlich wieder und erwarb hauptsächlich teure, schöne Postkarten und anderes feines Papierhandwerk, eher weniger Bücher, weil die Auswahl zwar fein, aber auch begrenzt ist.

Neighborhood-Bookstore (Foto: Stephanie Hanel)

Bücher am besten sofort vor Ort kaufen

Übrigens ist es mit den Büchern ähnlich wie mit manchen Lebensmitteln – am besten sofort und in ausreichender Menge kaufen, vielleicht sind sie beim nächsten Besuch nicht mehr vorrätig und geliefert, ja, geliefert werden sie vielleicht, irgendwann, irgendwie – aber sicher nicht so wie in Deutschland. Ehrlich: Ich habe über sieben Tage auf die Lieferung eines neu erschienenen, in Amerika publizierten Buches gewartet und derweil mein eigenes Exemplar an die Person verschenkt, für die es bestimmt war, weil ich mit der Zeitspanne dann doch nicht gerechnet hatte.

In dem Fall konnte ich das Buch der Empfängerin direkt mitgeben, aber wehe, es muss verschickt werden. Auch das habe ich versucht – die Bücher sind seit fast vier Wochen unterwegs und noch immer nicht angekommen. Und das Zollformular dafür auf der Post ausgefüllt zu bekommen war ein Abenteuer für sich. Die Post sieht übrigens aus wie ein Gefängnis und ich gehe also nicht wirklich gern dorthin. Wenn man einen Umschlag reinreichen will, geht erst ein Fenster am Schalter innen zu, dann eins für den Kunden auf und dann in umgekehrter Reihenfolge, damit die Angestellte es wieder herausnehmen kann. Nur mal so.

Unser Post-Office, Nadelöhr für meine analogen Briefe aus Brooklyn (Foto: Stephanie Hanel)

Es gibt nur zwei Briefmarken für Auslandspost, die ich online erwerben wollte, was nicht ging, weil ich keine amerikanische Kreditkarte habe, also drucke ich immer diese hässlichen Streifen aus dem Automaten aus – höchstens vier auf einmal ist hier die Ansage –, um nicht wieder in der Schlange anzustehen und den Angestellten auf die Nerven zu fallen, die mir bei einer solchen Gelegenheit zum Beispiel erklärten, dass sowohl Absender als auch Adressat vorne draufstehen müssen oder dass sie die sieben nicht lesen konnten, weil ich wieder vergessen hatte, dass die eins als Strich geschrieben wird und die sieben in Galgenform. Ok, durchatmen, draußen scheint die Sonne!

 

Eine der vielen Büchertaschen von Strand Bookstore – diese gab es gratis dazu (Foto: Stephanie Hanel)

Der Buchladen überhaupt

Um noch mal auf Buchläden zurückzukommen: Natürlich waren wir auch bei dem Buchladen, dem prominentesten in NYC überhaupt: Strand. Strand ist Kult und ein New-York-Besuch, ohne dort gewesen zu sein, für Bibliophile eigentlich undenkbar. Wir haben überwiegend nette Mitbringsel gekauft, wie die meisten anderen Besucher*innen auch, die Non-Books-Abteilung ist nicht umsonst direkt im Eingangsbereich, oder sollte man sie besser „Fan-Abteilung“ nennen? Wie auch immer – im Vorweihnachtsrummel ist Einkaufen hier eine sportliche Betätigung.

Vor-Weihnachtszauber

Aber noch nichts gegen die Herausforderung, mit Millionen anderer Schaulustiger den berühmten Weihnachtsbaum ansehen zu wollen, oder gar die Eisbahn vor dem Rockefeller Center. Die Weihnachtsdekoration in Manhattan ist selbstredend genauso gigantisch wie alles andere – beeindruckend, schon. Trotzdem: Weihnachtszauber ist anders, schnell „heim“ nach Brooklyn, nach Park Slope, das für Amerikaner so

Riesige Lichterkette und Menschenmassen – offiziell geschätzte 5 Millionen Besucher*innen aus aller Welt zur Weihnachtszeit (Foto: Richard Zinken)

europäisch und für uns immer noch amerikanisch genug ist. Und da hängen dann auch die klassischen Weihnachtskränze an Türen und Fenstern und blinken Lichter in Büschen und Bäumen. So passt das.

 

Weihnachtsfeines Haus in Park Slope (Foto: Stephanie Hanel)

 

Nächster Brief
Vorheriger Brief
Alle Briefe aus Brooklyn