Briefe aus Brooklyn 2

Ich gebe zu: Metrofahren ist eine Herausforderung für mich. Aber ohne Metro kein Manhattan, und ich will mich ja nicht in unserer Neighborhood einigeln. Zunächst musste ich aber schon über meinen Schatten springen und meine Tochter von der Schule abholen. Sie muss drei Stationen fahren, ein unschlagbar kurzer Schulweg zur Highschool. Die Schule liegt in einem guten Viertel, aber die weißen Amerikaner dort schicken ihre Kinder wiederum weiter weg in sogenannte bessere Highschools, während viele Menschen aus ärmeren Gegenden ihre Kinder weite Wege lang in dieses Viertel bringen, damit sie durch diese Schule eine bessere Zukunft haben können. Unsere Tochter ist eine der wenigen Weißen in ihrer Highschool.

(Foto: Richard Zinken)

Die Metro ist genauso abenteuerlich wie man denkt: die Gänge zumindest im Sommer eine vorhöllisch heiße unterirdische Anlage. Die Bahn selbst eine ratternde, innen kalte Blechschlange, die bisweilen in voller Fahrt mehr an eine Achterbahn als an ein normales Transportmittel erinnert. Wenn es gefühlt zu arg wird mit dem Schlagen von unten und dem Kreischen der Bremsen: einfach die Mitfahrenden angucken – wenn keiner beeindruckt ist außer man selbst, ist alles in Ordnung. Das menschliche Innenleben der Bahn ist so vielfältig wie die ganze Welt, aber öfter aus diversen Gründen eben auch nicht wirklich in bester Verfassung. Natürlich ist es absolut unschlagbar, eine Inderin neben einem orthodoxen Juden neben einem Asiaten neben einer dunkelhäutigen Lady neben einer Frau mit Kopftuch zu sehen, aber ich will ja die Menschen nicht anstarren – sicherstes Anzeichen dafür, nicht dazuzugehören. 😉

Poetry in Motion

So, und weil ich also während unvermeidlicher Fahrten immer dankbar für Ausflüchte bin, kenne ich nicht nur die Reklame-Plakate in der Metro sehr gut und weiß, was ich für einen Promotion Code eingeben muss, wenn ich Rabatt beim Bestellen der angepriesenen Ware bekommen möchte, sondern habe auch Kunst und Literatur entdeckt. Das erste Stück Literatur, das ich bewusst wahrnahm, war ein Gedicht der Autorin Ada Limón:

„When Eve walked among the animals and named them – nightingale, red-shouldered hawk, fiddler crab, fallow deer – I wonder if she ever wanted them to speak back, looked into their wide wonderful eyes and whispered, ‚Name me, name me.‘“

Es war mir ins Auge gefallen wegen der aufwendigen Illustration dazu. Nach dieser schönen Begegnung war meine Aufmerksamkeit geweckt, und ich begann nach „Poetry in Motion“, wie diese Aktion heißt, Ausschau zu halten. Und bei einer abendlichen, gefühlt endlosen Fahrt, wurde ich wieder fündig:

„Poetry in Motion“-Plakat in der Metro (Foto: Stephanie Hanel)

Offenbar suche nicht nur ich nach kleinen Fluchten, sondern die Verkehrsbetriebe machen sich auch Gedanken. Ich finde ja, dass Kunst und Literatur nirgendwo besser wirken als da, wo man sie nicht erwartet. Es kann ein noch so kleiner Ausschnitt aus einem Prosawerk oder auch ein Gedicht sein – wenn man sich mitten in Lärm und Dreck nur darauf fokussiert, kommen einem die Worte wie eine Offenbarung vor.

Cover-Illustration „The Tallest Doll in New York City“ (Copyright: Lars Leetaru, 2014)

Ein anderes Mal bin ich mit Besuch unterwegs und wir probieren das Gratis-Metro-WiFi aus, um an die Lesebibliothek zu kommen, neugierig darauf, was für Texte wohl angeboten werden in der „Subway Library“. Es ist ein bisschen trickreich die Verbindung herzustellen, aber wenn einem das an einer Haltestelle gelingt, kann man nachher in Ruhe lesen. Ich erwische per Zufall „The Tallest Doll in New York City“ von der Autorin Maria Dahvana Headley, eine Kurzgeschichte im Stil der Zeit, als Hochhäuser noch „guys and dolls“ waren.

Kunst in der Metro

Augenmenschen kommen übrigens auch nicht zu kurz: Es gibt speziell für die Metro-Stationen und die Züge entworfene Kunstplakate, die auf eine herrliche Weise altmodisch und gleichzeitig schon wieder modern anmuten. Und ab und zu ist eine der unendlich vielen Haltestationen dann auch so schön gestaltet, wie die vom American Museum of Natural History. Und der Gerechtigkeit halber sei erwähnt: Die Metrostationen waren sicher alle einmal in repräsentativem Zustand, es ist bloß an vielen Stellen einfach nichts mehr übrig geblieben vom Glanz der frühen Jahre. Und da wo die liebevollen Details noch erhalten oder zu erahnen sind, da weht einem der Charme der Vergangenheit an.

Mosaik an der Metro-Haltestelle 81 St – Museum of Natural History (Foto: Stephanie Hanel)

 

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